Zusammenleben ab 40 plus (analog und digital)
Stell dir vor, du stehst an der Schwelle zu einem neuen Kapitel in deinem Leben. Die Digitalisierung hat bereits ganz Erstaunliches hervorgebracht und auch deine innere Welt ist nicht mehr wie sie war. Auch das Bild, das du von deiner Zukunft hattest, ist nicht mehr so festgelegt wie zuvor. Es fühlt sich ein bisschen so an, als segelst du ohne Kompass durch die Nacht, weißt nicht ganau, ob du überhaupt dem nächsten Sturm trotzen kannst. Ein richtiges Abenteuer eben.
Da, ein LIcht. Ein Leuchtturm in der Ferne. Nun müsste es zu schaffen sein …
Der Leuchtturm beim Zusammen-Wohnen ist ein Set an Fähigkeiten, das dir Sicherheit gibt. Diese Fähigkeiten sind keine Zauberei und auch nichts Neues, sie sind bereits in jedem vorhanden, oft aber nicht bewusst und damit nicht nutzbar. „Gesellschaftlich weg konditioniert“ worden, warten sie eigentlich nur darauf, hervorgeholt und angewandt zu werden.
In diesem Beitrag schreibe ich von den 5 Fähigkeiten, die mir in Gruppenerfahrungen, im Ausland, in meinen Wohngemeinschaften am meisten weitergeholfen haben. Ich nenne sie mal die 5 Werkzeuge der Gemeinschaftszauberei. Nicht im Sinne von Hokuspokus, sondern selbst die Möglichkeit zu besitzen, eine festgefahrene Situation zu verwandeln.
Für wen?
Es geht hier nicht um studentische WG‘s, da ist alles anders und vor allem leichter. Die fünf Fähigkeiten hier dienen vor allem Menschen ab der Lebensmitte. Nicht nur ein Dach über dem Kopf ist wichtig, sondern als Individuum in einer passenden Gemeinschaft zu gedeihen.
Los geht’s – packen wir die Koffer für deine neue Lebensreise:
I. Kommunikation in Giraffensprache
Giraffensprache? Ja, diesen Wort hab ich schmunzelnderweise aus der Gewaltfreien Kommunikation übernommen. Bedeutet ganz kurz gesagt, aus einem großen (weiten) Herzen sprechen. Giraffen haben ein großes Herz, weil dieses ihr Blut sehr weit hoch transportieren muss. Kommunikation ist alles. Alles in der Natur ist miteinander in Kommunikation. Und natürlich ist sie auch das Herzstück jeder Gemeinschaft. Besonders in einer Wohngemeinschaft ab 40 aufwärts, ist eine empathische Kommunikation entscheidend. Unterschiedliche Lebensstile und schon länger aufrechterhaltene Gewohnheiten (und Sturheiten) treffen hier aufeinander. Jeder hat bereits sein Leben. Was kann Giraffensprache daran ändern?
1. Aktives Zuhören macht einen Unterschied: Ungeteilte einfühlsame Aufmerksamkeit ist ein ganz großes Geschenk heutzutage, von dem viele permanent zu wenig bekommen. Die Aufmerksamkeit wirklich aufs Zuhören richten, nimm dir die Zeit. Was erzählt dein Mitbewohner da, was für ein Gefühl ist da und was für ein Bedürfnis kannst du dahinter wahrnehmen? Wer so zuhört, gewinnt Vertrauen und versteht auch, was der andere meint. Oft hören wir ja das, was unser Thema ist und nicht das, was der andere gesagt hat.
2. Ich-Botschaften: Anstatt zu beschuldigen und dem anderen zu erklären, was an ihm nicht stimmt oder gerade falsch war, benutzt die Giraffensprache die Ich-Form. Also darüber sprechen, was man selbst in dieser Situation mit dem anderen fühlt und möchte. Zum Beispiel: „Ich fühle mich verunsichert, wenn du …“
3. Bedürfnisse anerkennen (in regelmäßigen Treffen): Etabliert mindestens einmal monatliche Treffen, um euch in andere einzufühlen und offen über Bedürfnisse, Anliegen, Pläne zu sprechen. Dies verhindert auch ein Anhäufen von Frustration, Projektionen und Missverständnissen.

II. Dort Lösungen empfangen, wo es keine zu geben scheint
Pannen, Verzögerungen und Konflikte sind unvermeidlich, aber wie man mit ihnen umgeht, bestimmt das Klima. Das ist auch in einer Gemeinschaft wichtig. Eine konstruktive Konfliktlösung grundsätzlich immer für möglich halten. Ich empfehle dafür folgende Zutaten:
• Frühzeitiges Ansprechen: Warte nicht, bis du innerlich kochst oder ein Problem bereits eskaliert ist. Sprich Konflikte am besten dann schon an, wenn dir etwas unangenehm ist oder Kopfzerbrechen bereitet.
• Gemeinsame Suche nach neuen Wegen: Kopf leer machen … Wenn alles möglich ist, wo lässt sich eine Brücke bauen? Betrachte Konflikte als gemeinsame Aufgabe auf deinem Weg der Realitätssteuerung. Welche Brainstorming-Sitzungen könnten helfen, kreative und für alle akzeptable Lösungen zu finden?
• Mediationswunder: Manchmal ist es am besten, wenn eine dritte Person hilft, eine festgefahrene Situation zu entwirren. Diese Person kann aus der Gemeinschaft kommen oder extern hinzugezogen werden. Sie muss dem Geschehen neutral gegenüberstehen bzw. in einer Distanz dazu sein.

III. Empathie: die Extrameile hin zum Verstehen
Empathie ist die Fähigkeit, die Gefühle und Perspektiven anderer Menschen nachzuvollziehen. Das lernt man besonders im Kontakt mit Menschen aus komplett anderen Kulturen. Aber du kannst auch gleich beim verschrobenen Nachbar anfangen. Empathie ist die Grundlage für eine unterstützende und rücksichtsvolle Gemeinschaft. Wie kannst du empathisch werden (falls dies nicht zu deinen Stärken gehört)?
• Perspektivwechsel einfach immer wieder üben: Versuche, dich in die Lage deiner Mitmenschen einzufühlen und ihre Sichtweisen nachzuvollziehen, auch da und gerade da, wo du keinen Bock darauf hast.
• Bewusstsein über Gefühle: Nimm dir jeden Tag die Zeit, deine eigenen Gefühle und Emotionen bewusst wahrzunehmen und reflektiere, wie diese dein Agieren beeinflusst haben.
• Unterstützung anbieten: Dir geht es gerade nicht so dolle und du fühlst dich bedürftig? Ein Weg aus diesem Mangelgefühl heraus, mit dem du dir selbst und anderen wahrscheinlich eher auf die Nerven gehst, kann es sein, deine Aufmerksamkeit umzulenken – und zwar genau auf die Bedürfnisse oder Sorgen deiner Mitbewohner. Ihnen Aufmerksamkeit oder sogar Hilfe anbieten. Achtung, dies gilt nur sehr bedingt für jene, die ihre Bedürfnisse und Gefühle nicht wahrzunehmen gelernt haben und es immer allen recht machen wollen. Und passt auch sonst nicht immer.
IV. Entscheidungsprobleme? Versucht es mal demokratisch und digital
Menschen mögen sich einfach nicht übergangen fühlen. Sie wollen sich gehört und gesehen fühlen. Das ist überall so und wer Gruppenprozesse kennt, hat es wahrscheinlich hautnah erfahren dürfen.
Eine faire und demokratische Entscheidungsfindung sorgt für gute Stimmung, Es muss heutzutage auch nicht mehr in ewige Diskussionen ausarten. Dies kennen einige allzu gut und lehnen es ab. Die Möglichkeiten der Digitalisierung können uns dabei tatsächlich nützlich sein. Über bestimmte Apps wie „Conside“ oder „Tricider“ könnt ihr zum Beispiel ein Stimmungsbarometer abfragen oder den Widerstand messen, der zu einem bestimmten Thema besteht. Diese digitalen Möglichkeiten machen es leicht, auf das, was sich dort zeigt, einzugehen. Ohne digitale Mittel geht es bekanntlich auch, aber mit geht’s schneller. Auch fühlen sich die meisten mit anonymen Abstimmungen sicherer, ihre ehrliche Meinung preiszugeben. Man mag eben nicht zu jedem Zeitpunkt diskutieren, so wichtig es auch immer mal wieder und regelmäßig ist.
Es kann sich auch ein Blick ins Konsentverfahren lohnen. Das ist viel einfacher als die etwas komplizierte Konsenserlangung. Auch in Zeiten der Digitalisierung stellt Konsent sicher, dass Entscheidungen getroffen werden, die von allen Mitgliedern getragen werden können, indem schwerwiegende Einwände berücksichtigt werden. Regelmäßige (digitale) Abstimmungen dienen auch dazu, Entscheidungen für alle sichtbar und nachvollziehbar zu machen.
„Arbeitsgruppen“ können bei großen Wohnprojekten eine feine Sache sein. Bildet solche Teams zu speziellen Themen (z. B. Gartenarbeit, Finanzen, Digitalisierung etc.) und präsentiert den anderen eure Ergebnisse.

V. Geschmeidig und nachhaltig durch den Sturm (der Veränderungen)
Eine innere Flexibilität war mir in jungen Jahren definitiv zu eigen. Heute muss ich mich etwas um sie bemühen. Sie ist auch äußerst hilfreich, wenn unterschiedliche Menschen zusammenkommen, um miteinander zu leben. Offenheit für neue Ideen, vielleicht Nachhaltigkeit oder App Nutzung, aber auch die Bereitschaft, einfach mal mitzumachen, bei dem, was gerade angesagt ist, fördert das Gelingen und schenkt das gute Gefühl, dass diese Gemeinschaftsreise zusammen doch irgendwie Sinn macht, auch wenn es nicht immer einfach ist.
Aber wie kannst du geschmeidiger werden? Yoga? Auf jeden Fall. Probiere aber auch gern mal aus, nicht immer alles schon zu wissen oder immer so (und nicht anders) zu tun. Betrete den inneren Raum des Nicht-Wissens und stelle Fragen. Denke weiter, umfassender. Es geht nicht nur um dich, es geht auch um die anderen, ja sogar um die Welt. Nachhaltigkeit mag erstmal nur ein leeres und sogar zu oft gehörtes Wort sein, aber was bedeutet es wirklich und was bringt es fürs Ganze und die menschliche Entwicklung? Bist du bereit, deine vielleicht weniger nachhaltigen oder anderweitig störenden Gewohnheiten und Erwartungen zu durchbrechen, um dem Leben vor Ort und dir selbst eine neue Dimension abzuringen? Dazu gehört auch, Altes und Überholtes loszulassen, „fixe Ideen“ gehören oft dazu. Lange genährt, aber nichts mehr wert. Doch lieber mal wieder so offen wie ein unbeschriebenes Blatt an etwas herangehen?
Das klingt dir zu steil? Gegenfragen: Was hast du zu verlieren? Trägt dich das Leben? Möchtest du die Herausforderungen annehmen, die diese Zeit und deine konkrete Gemeinschaft an deine seelische Entwicklung stellen?
An Unterstützung magelt es bei Bedarf nicht, es gibt zahlreiche Workshops zum Thema Loslassen, Nachhaltigkeit etc. Mit der Zeit wird es dann einfach, eben zu einer nachhaltigen Gewohnheit.
Fazit:
Mit der Entwicklung dieser 5 Fähigkeiten lernst du zaubern: Giraffensprache, frühzeitiger Umgang mit Konflikten, Einfühlung geben, Abstimmen und Geschmeidigkeit. Sie sind ganz essenziell für ein bereicherndes Zusammenleben in Wohngemeinschaften mittleren und älteren Alters. Widme ein Stückchen deiner kostbaren Lebenszeit diesen Fähigkeiten, denn Aufrichtigkeit und die Stimmigkeit aller Mitglieder ist das, was das Gemeinschaftsleben zum Himmel auf Erden macht. Und behalte im Hinterkopf: Ohne Skills, kann es auch schnell zur Hölle werden.
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