Die Kraft der Gemeinschaft entfachen

Die meisten Projekte scheitern schon, bevor sie überhaupt gestartet sind. Gefolgt von jenen, die nie über das Anfangsstadium hinauskommen. Da fragt man sich, kann Gemeinschaftsbildung überhaupt gelingen und wenn ja, wie? Auch wenn bestehende Wohnprojekte zerbrechen, weil man keinen Konsens mehr findet, ist das richtig bitter und kann uns sehr belasten.

Wie aber kann ich sicher sein, dass die anderen und ich auch wirklich dieselben Werte und Ziele teilen? Wie kann ich bestehende Verbindungen auf eine tiefere Ebene bringen, auf der ein Gemeinschaftsprojekt überhaupt erst eine stabile Basis hat?

In einer stark individualisierten Welt und oft großer räumlicher, seelischer und geistiger Distanz zwischen uns, sehnen sich viele nach einer Gemeinschaft, nach einem Ort, an dem wir uns verbunden und zugehörig fühlen und unsere Ideen und Träume mit Gleichgesinnten leben und weiterentwickeln können. Das stellt uns gleichzeitig vor große Herausforderungen. Und wer darüber ausgiebig nachdenkt, begegnet wahrscheinlich auch irgendwann seinen inneren Grenzen, alten Verletzungen und vielen widersprüchlichen Argumenten, die mitunter unüberwindlich erscheinen.

Müssen wir vielleicht in Sachen Gemeinschaftsbildung auch wieder bei uns selbst anfangen und erstmal aufräumen, um zu einem Menschen zu werden, der Gemeinschaft überhaupt finden, aushalten und leben kann?

Die Hauptgründe fürs Scheitern vieler Wohnprojekte

Der Hauptgrund für das Scheitern von Wohnprojekten ist Nachforschungen zufolge nicht etwa die berühmte Finanzierungslücke, sondern zwischenmenschliche Schwierigkeiten. Was heißt das?

Ich würde sagen, da haben ungeklärte oder unverarbeitete Emotionen den Strich durch die Rechnung gemacht. Und irgendwann konnte man nicht einmal mehr miteinander reden und steht wie in einem luftleeren Raum. Egal wie man die unverarbeiteten Emotionen nennt, Päckchen, Rucksack, Altlasten, Schmerzkörper, gemeint sind die Überreste jener Situationen, in denen unser System in Abwehr gehen musste, um irgendwie durch eine überfordernde Situation zu kommen. Dabei hat es Schutzmechanismen entwickelt. „Nie mehr sollst du sowas erleben und fühlen müssen.“

Diese Schutzmechanismen, wie bestimmten Situationen ausweichen, taub sein und nichts fühlen, geschäftig sein, weghören, nicht verstehen, aggressiv werden, andere beleidigen etc. haben uns einst vor Überforderung geschützt. Sie sind also grundsätzlich wertvoll, dienen uns aber heute meistens nicht mehr, sondern bewirken oft das Gegenteil. Sie trennen uns ab – von uns selbst und anderen. Jeder von uns bringt eine Vielzahl von Erfahrungen, Erwartungen und unbewussten Mustern mit, die man nicht sehen kann, die aber unser Verhalten und unsere Interaktionen beeinflussen. Wenn diese alten Emotionen nicht gefühlt und damit verarbeitet werden, führen sie immer irgendwann zu Konflikten, Missverständnissen und letztendlich womöglich zum Zusammenbruch des Wohnprojekts.

Zum Beispiel können alte Verletzungen oder ungelöste Konflikte aus der Vergangenheit dazu führen, dass einige Schwierigkeiten haben, sich auf Mitglieder der Gemeinschaft einzulassen oder enge Beziehungen aufzubauen. Ein weiterer Faktor, der häufig zum Scheitern beiträgt, sind die eigenen Kommunikationsmuster, die vielleicht eher trennend wirken und nicht verbindend. Aber die gute Nachricht ist, man kann beides lernen, sowohl eine gewaltfreie/empathische Kommunikation als auch einen öffnenden statt einen verschließenden Umgang mit Emotionen.

Üblicherweise wollen wir bestimmte Emotionen nicht spüren, besonders nicht die der alten Verletzungen, die durch Interaktionen mit anderen reaktiviert werden. Wir machen dicht. Leider schneiden wir uns dabei auch vom eigentlichen und sehr gesunden Fühlen ab. Das mag eine Weile gutgehen, hat aber seinen Preis: mangelnde Empathie und wie vom Leben abgeschnitten sein.

Gemeinschaftlich zu leben ist sicherlich herausfordernd. Es gibt viel mehr Gelegenheiten dafür, dass irgendjemand deine Knöpfe drückt als in anderen Kontexten. Ich würde sagen, das, was in einer Paarbeziehung schon oft schwierig genug ist, vervielfacht sich hier um einiges. Daher ist es entscheidend, dass die Bewohner für Selbstreflexion und persönliches Wachstum offen sind. Das Interesse daran, sich selbst und seine eigenen Muster zu verstehen und zu hinterfragen und die Bereitschaft, sich auf die Bedürfnisse und Perspektiven anderer einzulassen ist die Basis.

Menschen, die nicht bereit sind, an sich selbst zu arbeiten und ihre eigenen inneren Konflikte zu lösen, können Schwierigkeiten haben, mit der Gemeinschaft klar zu kommen und konstruktiv zum gemeinsamen Wohl beizutragen. Schauen wir uns zwei wesentliche Aspekte genauer an:

Emotional Unverdautes

Das eigene emotionale Gepäck ist eine Ansammlung aus unterdrückten Gefühlen und führt dazu, dass emotionale Reaktionen auf Gesagtes oder auch Kleinigkeiten manchmal unangemessen groß und dramatisch ausfallen. Authentische Gefühle, die nicht auf alten verdrängten Verletzungen beruhen, sondern im Jetzt entstehen, sind hingegen wichtige Hinweise für dich. Sie zeigen dir, was wichtig ist und wo deine Grenzen sind.

Die ganze Gefühlspalette zuzulassen und willkommen zu heißen, statt einige Gefühle nicht haben zu wollen, ist ein wichtiger erster Schritt hin zur Gemeinschaftsfähigkeit. Gefühle von Angst, Scham oder Wut erscheinen vielen Menschen so unerträglich, dass sie sich niemals auf sie einlassen würden und sich auf alle mögliche Art davon abzulenken versuchen. Das ist sehr schade, denn so werden sie nie vollständig bekannt und ins System integriert. Womit du dich durchs Leben schleppen musst ist diese Art von Daueranspannung, dieses Hintergrundrauschen aus einem Gefühl von Negativität, vielleicht auch Angst oder Bedrohung, das vieles sehr schwierig macht.

Hinter Gefühlen stehen auch Bedürfnisse und die haben ihre Berechtigung. Schön ist es, wenn sie erfüllt werden können. Aber nicht alle Bedürfnisse müssen erfüllt werden. Oftmals reicht es schon, wenn sie gesehen und anerkannt werden. Dann lässt sich auch auf eine erwachsene Weise herausfinden, wie ich mir selbst dieses Bedürfnis auf eine andere Weise erfüllen könnte. Es gilt hier zu erkennen, dass ich selbst die Verantwortung für meine Gefühle übernehme und nicht erwarten kann, dass sie von anderen erfüllt werden. Diese Unterscheidung von geladenen Emotionen, die auf alten verletzten Gefühlen beruhen, die nie Raum bekamen, und „normalen“ Gefühlen, die aus dem Moment heraus entstehen und uns etwas sagen wollen, hat schon in einigen Gemeinschaften den Umgang untereinander verändert und zu neuen Lösungen beigetragen.

Eine regelmäßige emotionale Reinigung in Form eines bewussten Raumes zum Durchfühlen von dem, was da ist und sich angesammelt hat, ist eine wundervolle Praxis. Es gibt verschiedene Methoden. Eine sehr hilfreiche und einfache, gerade im Setting von Gemeinschaften, ist eine Session im „Bewussten Fühlen“. Zwei sitzen sich gegenüber, einer hält den urteilsfreien und wohlwollenden Raum, sagt nichts, sondern hört nur zu und schenkt dem Fühlenden seine ungeteilte Aufmerksamkeit. Idealerweise folgt danach ein Rollentausch. Die Fühlende braucht sich keine Gedanken zu machen, wie es dem anderen geht, ob er auch was sagen möchte oder wie sie jetzt wohl rüberkommt, sondern darf sich ganz auf ihren Fühlprozess konzentrieren. Und der Bezeugende kann sich ganz auf’s Raumhalten konzentrieren und muss sonst nichts tun. Diese klare Aufgabenverteilung wirkt in der Regel für beide entspannend.

Empathische Kommunikation

Empathische Kommunikation ist entscheidend für das Funktionieren einer Gemeinschaft, da sie den Mitgliedern ermöglicht, ihre Bedürfnisse auszudrücken, Konflikte zu lösen und gemeinsame Ziele zu verfolgen. Wenn Teilnehmer nicht in der Lage sind, offen und ehrlich miteinander zu kommunizieren, können Missverständnisse entstehen und Beziehungen zerbrechen. Dies kann dazu führen, dass sich einzelne Mitglieder isoliert oder unverstanden fühlen und das Gefühl haben, dass ihre Bedürfnisse ganz hinten stehen. Kurz gefasst bedeutet empathische Kommunikation (auch gewaltfreie Kommunikation) nach Dr. Marshall B. Rosenberg: „Die Absicht, unsere Verbindungen so zu gestalten, dass wir unsere jeweiligen Bedürfnisse verstehen und schätzen und gemeinsam Wege finden, wie wir sie einvernehmlich erfüllen können. Das gilt auch und besonders im Konfliktfall.“ Das Erspüren und Ausdrücken der eigenen Gefühle und Bedürfnisse in Verbindung mit einer konkreten Bitte an den anderen steht im Mittelpunkt dieser Kommunikationsmethode. Genauso wichtig dabei ist das empathische Wahrnehmen und Einbeziehen der Gefühle und Bedürfnisse Anderer.

Interesse an Menschen und menschlichen Erfahrungen

Menschen mit einem echten Interesse an anderen werden in Gemeinschaften reich beschenkt. In den unvermeidbaren Begegnungen liegt sogar, auch wenn sie einem manchmal unangenehm oder zu viel sind, ganz viel Segen. Da ist immer reichlich Gelegenheit, über sich selbst und die Welt zu lernen und zwar hautnah. Es geht eigentlich immer was ab, Filme und Unterhaltungsprogramm verblassen dagegen und tatsächlich wird in Gemeinschaften seltener TV geschaut als bei Familien oder Singles.

Wer allerdings ganz viel Zeit für sich braucht, extrem ruhebedürftig ist, ganz viel mit eigenen Projekten beschäftigt oder sich eigentlich nur für seine eigene Familie interessiert sollte es sich noch einmal gut überlegen und Alternativen suchen. Das sollten auch diejenigen, die notgedrungen eine Wohngemeinschaft suchen, Vielleicht ist in diesem Fall doch ein kleines Apartment besser geeignet. Oder sich einen Nebenverdienst suchen. Oder, oder … Oder man bewegt sich innerlich, beschäftigt sich mit seinen Ängsten und Grenzen, entwickelt sich und seine Gefühlskapazitäten weiter, geht unbeschwerter in Kontakt und schaut, was dann passiert.

Fazit

Insgesamt ist es meiner Meinung nach entscheidend, dass die Teilnehmer eines Wohnprojekts bereit sind, an ihren eigenen emotionalen und kommunikativen Fähigkeiten zu arbeiten, um aufeinander zugehen zu können.

Genau dazu sollen ab November 2024 regelmäßigeTreffen zum Kennenlernen und ein Miteinander-Coaching-Programm starten – als ein Übungsfeld zur Gemeinschaftsfähigkeit und Praxisfeld für emotionale Entlastung und empathische Kommunikation. Sicher dir jetzt schon den Zugang zur privaten Gruppe Community PRO.

In Community Pro Du kannst du ganz nach deinen derzeitigen Interessen und Möglichkeiten Kontakte knüpfen, oder auch tiefer einsteigen, dich spüren und ausdrücken lernen und damit tiefere Verbindungen erleben, die auf Vertrauen, Respekt und gegenseitiger Unterstützung beruhen.